top of page

Danke Deutschland für Google Street View... nicht!

Die flächendeckende Einführung von Google Street View hätte viele Vorteile – auch für Kirchhain. Doch Deutschland ist immer noch Street-View-Entwicklungsland. Heute möchte ich mal eine Lanze für das Tool brechen. Dabei werde ich auch häufig aus anderen Artikeln zitieren, zu denen ich am Ende dieses Textes verlinke.

Obwohl in Deutschland nur 20 Städte über Straßenpanoramen im Internet verfügen, gehört Googles Street View hierzulande zu den beliebtesten Internetanwendungen. Vier von fünf Online-Nutzern rufen den Dienst regelmäßig auf. [1].

Das kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Selbst meine Eltern mit ihren rund um die 70 Jahren möchten gerne regelmäßig einen Blick auf die heutigen Straßenzüge ihres Geburtsortes werfen, wenn sie mich im Büro besuchen. Zum Glück liegt dieser nicht in Deutschland und verfügt deshalb über komplette Street-View-Abdeckeung (und das trotz seiner geringen Größe – vergleichbar mit Halsdorf). So sitzen wir oft vor dem Rechner und ich lasse mir von meinen Eltern gerne Geschichten aus deren "alten Heimat" beim Anblick des einen oder anderen Grundstücksoder Gebäudes erzählen.

Auch ich hatte das Glück mich vor einigen Jahren auf eine nächtliche Fototour in Berlin mit Hilfe von Street View vorbereiten zu können – denn Berlin bietet als einer der wenigen Städte in Deutschland diese Straßenansicht. So konnte ich schon vorab meine Tour planen, indem ich dort nach interessanten Sehenswürdigkeiten und Fotomotiven Ausschau hielt, die ich dann an einem kurzen Wochenenende rasch hintereinander "abferigen" konnte. Das Ergebnis davon, könnt ihr hier an ein paar Beispielen sehen:

Jetzt aber mal ehrlich – wer von euch hat nicht schon mal per Street View sein Urlaubshotel und die Gegend drumherum vorab ausgespäht?

Ist ja auch kein Wunder, denn hier kann man – ganz unverfälscht von cleveren Werbeformulierungen – sehen, wie es dort wirklich aussieht. Laut Umfrage wird Street View von mehr als jedem zweiten zu diesem Zweck genutzt. Noch mehr (70%) navigieren (wo es verfügbar ist) mit Street View zu Zielorten. Und auch zur Wohnungssuche scheint der Dienst für 30 Prozent der Nutzer von Wert zu sein, denn so kann man schon vorab die evtl. weit entfernte Immobilie im Netz betrachten. Darüber hinaus gibt es auch tolle Möglichkeiten für Handwerker, die den Dienst dafür nutzen, Kostenvoranschläge ohne Vor-Ort-Besichtigung zu erstellen (z.B. Fassadenreiniger).

Damit aber nicht genug. Auch spannende Extras bietet Google in Deutschland nicht an. So gibt es seit April 2014 international etwa die Möglichkeit, historische Fotos mit den aktuellen Aufnahmen zu vergleichen, also eine digitale Zeitreise zu unternehmen. Doch „Time Travel“ wird in Deutschland nicht angeboten, wohl auch aus Furcht vor einem neuen Aufschrei der Datenschützer oder denen, die sich dafür halten. [2]

Die Chance ist vertan und wir dürfen uns bei Politikern, Datenschützern und Medien bedanken. Sie haben getan, was sie bei praktisch allen digitalen Themen in Deutschland tun: rumhysterisieren, Schlimmstfalls-Szenarien erschaffen, Gesetze und Verbote fordern. [3]

Interessant, wie von unseren Oberen einerseits die Privatsphäre ihrer Bürger geschützt und andererseits z.B. durch eine Befürwortung verstärkter Überwachung wieder in die Tonne geworfen wurde. – Wie anno 2010 manche Menschen einerseits Street View aus Angst vor Einbrechern verteufelten und heute auf Facebook ihre Joggingzeiten und Urlaube posten, so dass jeder Dietrich-Detlef sehen kann, wann sie nicht zu Hause sind.

Auch die Bild-Zeitung – damals im Eiklang mit dem allgemeinen Hetztenor – schlägt in letzter Zeit ganz andere Töne an – z.B. mit Titeln wie: "Bei Street View sind wir ein Entwicklungsland“ und spricht dabei gerne abwertend von der "Pixel-Burka", wenn es um das Verfremden der Häuser auf Street View geht.

Wie desinformiert die Bürger [damals] letztlich waren, demonstrierte eine „Bild“-Straßenumfrage: Es entstand der Eindruck, Google-Drohnen flögen dauerhaft umher und übertrügen live aus deutschen Wohnzimmern. [3]

Die Debatte um Street View kochte schon lange vor dem Deutschland-Start des Dienstes hoch. „Ich kann mir anhand von solchen Diensten anschauen, wo und wie jemand lebt, welche privaten Vorlieben er oder sie hat, wie seine Haustür gesichert ist oder welche Vorhänge an den Fenstern sind - und das ist noch das Wenigste”, warnte schon Anfang 2010 die damalige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU). „Damit wird das Private ohne Schutzmöglichkeiten an die globale Öffentlichkeit gezerrt.” [4]

Fast wie eine Ironie des Schicksals scheint es, dass mittlerweile auch Kommunen und Behörden erkennen, wie vielseitig und nützlich die Einsatzbereiche von Straßenpanoramen sein können. Ein Dienst wie Street View bietet viel Potenzial für Feuerwehr, Polizei, Verkehr, Mobilität und Touristik. Rettungsdienste könnten so z.B. schon während der Anfahrt kritische Stellen zum Manövrieren der Einsatzfahrzeuge ausmachen oder den Einsatzort schneller finden (wäre nicht das erste Mal, dass ein Krankenwagen spät eintrifft, weil man die Hausnummer nicht gefunden hat). Auch Behörden könnten bei aktuellem Datenmaterial schneller erkennen, wo Straßenrenovierungen und Baumaßnahmen nötig sind, weil sie nicht eigene Trupps durch alle Straßen schicken müssten.

Mittlerweile beauftragen Kommunen nun mittelständische Unternehmen für solche Panoramaufnahmen, doch das kostet. „Viele Kommunen können es sich gar nicht leisten, solche Aufnahmen zu machen“, sagt Franz-Reinhard Habbel vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Anbieter wie Google seien daher mit ihren Bildern eine große Hilfe. [1]

Tja, so sieht es aus in Deutschland 2016 und wir stehen damit auf einer Stufe mit Ländern wie Moldavien, Weißrussland oder (wen wundert's) Österreich, welche genauso schlecht abgedeckt sind. Dazu kommt: Die Deutschen gehören im internationalen Vergleich zu den aktivsten Nutzern von Street View. Die Straßen der Amerikaner und Briten anzusehen, scheint für uns okay zu sein. Die eigenen Straßen wollte man lieber nicht ins Internet stellen. [2]

Doch was hat das alles nun speziell mit Kirchhain oder MeinKIRCHHAIN.de zu tun?

Natürlich lassen sich oben genannte Argumente auch auf Kirchhain übertragen. Gerne hätte ich die Möglichkeiten von Street View aber auch genutzt, um für euch nach neuen, interessanten Orten und Fotomotiven in Kirchhain und Umgebung zu recherchieren. Leider bleibt mir diese Möglichkeit verwehrt und ich muss derzeit nach Alternativen suchen oder "analoge" Touren auf mich nehmen – und diese brauchen eben ihre Zeit.

Kirchhain gehört im Gegensatz zu Berlin oder anderen in Street View sichtbaren Großstädten nicht zu den Orten, die – oder deren Motive schon millionenfach von Touristen fotografisch festgehalten wurden. Dadurch verpassen wir als Kleinstadt eine von mehreren Möglichkeiten, auch dem Ortsunkundigen aus der Ferne die Schönheit unserer Kleinstadt – ohne Aufwand – auf einer der wichtigsten Platformen und erste Anlaufstelle zur Ortserkundung näher zu bringen.

Ehemalige Kirchhainer, werden entweder gar nicht oder nur über Umwege (großes Interesse vorausgesetzt) einen aktuellen Blick auf die Schauplätze ihrer Kindheit werfen können.

Der aktuelle Zustand ist für mich sehr traurig und ich persönlich finde durch das Fehlen von Street View in unserer Region entgeht uns ein Nutzen, der die Kosten (vor allem die für die deutlich zur Minderheit gehörenden Street-View-Gegner unter uns) bei weitem übersteigt.

Leider wird sich das auch nicht so schnell ändern – oder?

Lasst mich zum Abschluss mal wieder ein wenig herumspinnen – nur so als Gedanke/Impuls an unsere Stadt:

2017. Ganz Deutschland ist eine Google-Street-View-Einöde.... Ganz Deutschland?... Nein. Eine einzige Kleinstadt in Mittelhessen zeigt sich Blau gefärbt einem Steet-View-Nutzer – der sich erstaunt und neugierig fragt, warum gerade dieser kleine Ort eine Street-View-Option bietet. Also beginnt er einen kleinen virtuellen Rundgang durch die Altstadt, vorbei am Marktplatz, entdeckt den historischen Bahnhof, "schländert" durch Kirchhains Stadtteile und entdeckt dabei die schöne Landschaft und zahlreiche kulturelle Sehenswürdigkeiten, die es in seiner Herkunftsregion so nicht gibt. "Beim nächsten Mal", sagt er zu sich, "wenn ich mal wieder in der Gegend bin (sei es ein Urlaub oder eine Geschäftsreise), werde ich diesem Ort bestimmt mal einen kleinen Besuch abstatten."

In diesem Sinne,

viele Grüße aus Mein(em)KIRCHHAIN

Frank Wagner

Weiterführende Links / Quellverweise:

119 Ansichten

Ähnliche Beiträge

Alle ansehen
bottom of page