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Miteinander-Zone für mehr Attraktivität der Innenstadt?



Ein altes – und sicher auch oft diskutiertes – Thema in den letzten Jahrzehnten ist der Fahrradverkehr in Fußgängerzonen, den es ja eigentlich nicht geben dürfte. Denn Fußgängerzonen sind eben nur Fußgängern vorbehalten. Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt. Doch wie häufig hat jeder von uns schon Einen Radfahrer durch die Fußgängerzone fahren sehen? Allein auf meinem Weg zum Titelbild konnte ich gestern mindestens ein halbes Dutzend radelnde Mitbürger in der Bahnhofstraße beobachten.

So lange beide Verkehrsteilnehmergruppen aufeinander Rücksicht nehmen (also vor allem Radfahrer nicht wie gesenkte Säue, sondern im Schritttempo durch die Bahnhofstraße fahren), spricht für mich im Prinzip als primärer Fußgänger eigentlich nichts gegen eine Öffnung der Fußgängerzone für Radler. Ganz im Gegenteil macht es eventuell sogar Sinn.

Hier mal ein paar wissenschaftliche Erkenntnisse von der schon seit den 1980er Jahren erforschten Sachlage mit bis heute kaum veränderten Erkenntnissen:

  • Über die Zulassung von Radfahrern werden emotionsgeladene Debatten geführt.

  • Vor allem ältere Personen fühlen sich gefährdet.

  • Die Konflikte durch zugelassenen Lieferverkehr mit LKW sind schwerwiegender.

  • Unfälle mit Fußgängern sind seltene und i.d.R. harmlose Ereignisse.

  • Alleinunfälle von Radfahrern sind häufiger.

  • Die Legalisierung des Rad Fahrens führt nicht zu mehr Fahrradverkehr.

  • Wo Radverkehr erlaubt ist, gibt es weniger Unfälle.

  • Radfahrer passen ihr Verhalten an die Fußgängerdichte an.

  • Konflikte werden von Radfahrern entschärft.

  • Radwege durch Fußgängerzonen sind keine Lösung.

Schon 2012 kam der ADFC zu folgendem Schluss:

"Radfahrer befahren Fußgängerzonen auch unerlaubt, wenn sie die Verbindung brauchen und Alternativen fehlen. Wenn es bessere Alternativen gibt, fährt kein Radfahrer freiwillig durch eine Menschenmenge. Fußgängerzonen sind die Kehrseite der autogerechten Stadt. Wenn zahlreiche Radfahrer unerlaubt durch eine Fußgängerzone fahren, steht dahinter eine verfehlte Verkehrsplanung. Also muss die Verkehrsplanung korrigiert werden, nicht die Radfahrer."

In Kirchhain ist die Frage zur Steigerung der Attraktivität unserer Innenstadt immer mehr in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit gerückt. Auch hier könnte eine Öffnung der Fußgängerzone aus meiner Sicht gerade dazu einen kleinen Teil beitragen. Laut Umfragen wünschen sich viele Menschen wieder den Autoverkehr und Parkplätze direkt vor ihrem Geschäft. Ich glaube aber nicht, dass es in Kirchhain mehrheitlich erwünscht ist (und bin auch selbst kein Befürworter davon), dass wir unsere Fußgängerzone wieder eine ganz normale Straße umwandeln.

Was aber, wenn man zumindest Radfahrern das Privileg böte, mit ihrem umweltfreundlichen Fahrzeug direkt zu ihrem Einkaufsziel fahren zu können, anstatt sie zu bestrafen? Käme man damit nicht den Bedürfnissen der Kundschaft zumindest auf halben Weg entgegen?

Der Radfahrer ist nur Gast

Wie könnte eine Lösung zur Öffnung der Bahnhofstraße für den Radverkehr nun konkret aussehen? Es kann ja nicht Sinn der Sache sein, die Fußgängerzone einfach neu zu beschildern und somit als gemeinsamen Rad- und Fußgängerweg freizugeben. Das würde Verkehrsrowdies nur Tür und Tor öffnen und verstärkt zu Konflikten führen.

Nein. Radfahren sollte zwar geduldet sein, aber der Fußgänger immer noch Vorrang haben.

Dies regelt z.B. die Stvo ganz klar bei Fußgängerwegen:

„Wird durch Zusatzschild Fahrzeugverkehr [Fahrräder sind auch Fahrzeuge] zugelassen, so darf nur mit Schrittgeschwindigkeit gefahren werden. Die Fahrzeugführer dürfen Fußgänger weder gefährden noch behindern; wenn nötig müssen sie warten.“

Eine Lösung wäre also, durch ein Zusatzschild „Radfahrer frei – Schrittempo“ (wie z.B. in Gladbach) den Fußgängern einerseits den Vorrang vor den Radfahrern zu geben und anderseits auf Bedürfnisse der Radler einzugehen.

Auch Aschaffenburg in Bayern hat die hier bereits angesprochenen Problematiken erkannt und startete 2012 die Kampagne „Miteinanderzone“. Durch Informationsveranstaltungen sowie Presse– und Öffentlichkeitsarbeit wurde im Vorfeld an das gegenseitige Verständnis der Verkehrsteilnehmer appelliert. Die Kampagne kam so gut an, dass die die einjährige Tesphase mit Erfolg abgeschlossen werden konnte und das Radfahren in der Fußgängerzone seither weiterhin erlaubt ist.

Nach vier Jahren zog die Stadt Aschaffenburg auf ihrer Homepage folgendes Resümee:

„Seit 4 Jahren teilen sich der Fuß- und Radverkehr die Flächen in den Fußgängerzonen und Grünanlagen von Aschaffenburg. Damit haben wir Großartiges erreicht. Viele Städte schauen interessiert nach Aschaffenburg und möchten wissen, wie wir das gemacht haben. Zudem wurde dieses Projekt mit dem 3. Platz beim Deutschen Fahrradpreis 2015 ausgezeichnet.

Geholfen hat uns natürlich die Kampagne zur Einführung der Regelung. Aber dann? Dann kam es darauf an, den Gedanken der Kampagne „Miteinanderzone – Rücksicht nehmen“ auch tatsächlich in die Praxis umzusetzen. Wir sind der Meinung, dass wirklich ein gutes Miteinander in den Fußgängerzonen und Grünanlagen gelebt wird. […]“

Es gibt noch viele weitere Beispiele: Bernau, Bonn, Frankfurt, München, Darmstadt, Regensburg, Mainz und viele weitere Städte Deutschlands haben ihre Fußgängerzonen auf ähnliche Weise für den Radverkehr entweder komplett oder zu bestimmten Tageszeiten geöffnet.

Die Frage ist nun, schließt sich Kirchhain an?

Was meint ihr dazu? Sollte Kirchhain auch seine Fußgängerzone für Radfahrer als Gäste öffnen?

Stimmt doch einfach hier auf Facebook mit ab und beteiligt euch an der Diskussion mit euren Kommentaren.

 

Übrigens: Es gibt eine Möglichkeit, wie ihr euch ganz legal auf dem Fahrrad schon jetzt durch die Fußgängerzone bewegen dürft, denn Roller dürfen als "Fortbewegungsmittel" nach § 24 StVO und § 16 Absatz 2 StVZO auf Gehwegen und in Fußgängerzonen benutzt werden - auch von Erwachsenen [OLG Oldenburg Ss 186/96].

Ob das „Rollern" in Fußgängerbereichen zulässig ist, wenn man dazu ein gewöhnliches Fahrrad verwendet klärten bereits die Gerichte: Erlaubt sei eine Fortbewegung, bei der man mit einem Fuß auf dem Pedal steht, sich mit dem anderen vom Boden abstößt, die Hände am Lenker hat, aber weder im Sattel sitzt noch die Pedale zum Antrieb nutzt.

“Fußgänger ist ... auch, wer ein Fahrrad mit sich führt oder sich mit ihm untypisch - etwa durch wiederholtes Abstoßen mit dem Fuß - fortbewegt" [OLG Stuttgart 5 Ss 479/87].

"Steigt ein Radfahrer ab und überquert die Fahrbahn, indem er mit dem Fuß auf ein Pedal steigt und "rollert", ist dies kein Verstoß gegen das Verbot […]" [Kammergericht Berlin 12 U 68/03].

Also: Rechtes Bein aufs linke Pedal (oder umgekehrt) und schon lässt es sich legal durch die Fußgängerzone rollern, natürlich nur mit Schrittgeschwindigkeit und Rücksicht auf die anderen Verkehrsteilnehmer, denn „ein Verwarnungsgeld von 10 bis 35 Euro müsste dennoch befürchten, wer Fußgänger belästigt, behindert, gefährdet oder schädigt […]“ [Roland Huhn, Rechtsreferent im Bundesverband des ADFC].

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