Wie sehr Kirchhains Stadtverodnete anscheinend das Internet fürchten, hat die gestrige Abstimmung im Haupt- und Finanzausschuss gezeigt. Mit sechs Stimmen (4x SPD, 2x CDU) zu einer Stimme (Grüne) bei einer Enthaltung (FDP) stimmten sie gegen einen Antrag, der es zukünftig den Medien – und damit auch MeinKIRCHHAIN – gestattet hätte, Film- und Tonaufnahmen der Sitzungen zum Zweck der Veröffentlichung anzufertigen. Leider stuften die mit "Nein" votierenden Stadtverordneten die eigenen Persönlichkeitsrechte höher ein, als die Nähe zum Bürger. Das ist zumindest meine Hypothese, denn die sonst so redefreudigen Mandatsträger schwiegen sich bei diesem Thema aus und gaben der Saalöffentlichkeit keine Begründung für ihren Entschluss. Die liegt aber auf der Hand: Anstatt den Kirchhainern die Möglichkeit zu geben, sich die für sie relevanten Redebeiträge aus den Sitzungen unverfälscht, ungekürzt und ganz bequem von zu Hause aus anzuschauen und sich dadurch aus erster Hand ein eigenes Bild machen zu können, überwog anscheinend die Besorgnis darüber, sich eines Tages im Internet in einer weniger telegenen Pose wiederzuentdecken. Am kommenden Montag wird final in der Stadtverordnetenversammlung über den Antrag der Grünen abgestimmt. Ich hoffe, dass zumindest dann ein paar Begründungen von den Fraktionen nachgeliefert werden. Das Ergebnis wird sich aber voraussichtlich nicht wesentlich von dem heutigen unterscheiden. Schade. Denn ohne einen einfachen und kostenlosen Zugang zu den Inhalten der Sitzungen verpasst Kirchhain aus meiner Sicht die Chance, gerade bei jüngeren Menschen das Interesse an der Kommunalpolitik zu wecken und in Folge dessen die Stadtverordnetenversammlung bei der nächsten Kommunalwahl ein wenig zu verjüngen.
Konsequent digital?
In Sachen Digitalisierung hat man schon viel dafür getan, um sich fit für die Zukunft zu machen: Die Stadt hat eine neue und wesentlich kommunikationsfreudigere Homepage, eine niegelnagelneue Facebookseite für den direkten Bürgeraustausch via Chatfunktion... ist in Planung und unsere Stadtverordneten haben eigene Tablets zur Prozessoptimierung an die Hand bekommen.
Zur Digitalisierung und Bürgernähe des 21. Jahrhunderts gehört aber meines Erachtens auch, dass man heutige Möglichkeiten nutzt und den Zugang zu den Sitzungen zeitlich sowie in der Mobilität eingeschränkten Mitmenschen mittels Neuer Medien jederzeit ermöglicht. Wie skeptisch man gegenüber den Neuen Medien jedoch ist, lässt sich aber schon daran festmachen, wie lange es dauerte, bis die meisten Fraktionen mit einer eigenen Facebookseite an den Start gingen. Den Anfang machte DIE LINKE 2014, gefolgt von Bündnis '90/DIE GRÜNEN im Dezember 2015. Gut zwei Jahre später stießen erst CDU dann SPD dazu. Die FDP und steht für den direkten Dialog über das weltweit größte Soziale Netzwerk bis heute nicht zur Verfügung. Darüber hinaus beschränken sich viele der vorhandenen Seiten auf wenige Beiträge im Monat und Werbung für die eigene Partei, anstatt über Lokalpolitik zu informieren.
Keine Experimente – nicht mal im Ansatz
Dass ich sehr gerne für MeinKIRCHHAIN ungekürzte Aufnahmen der SVV via YouTube zur Ansicht zur Verfügung gestellt hätte, ist ja kein Geheimnis. Ich besuche mittlerweile regelmäßig die Sitzungen. Anstatt aber dort nur tatenlos zuzuhören, hätte ich mich gerne vor Ort für die Allgemeinheit nützlich gemacht und diese Aufzeichnungen ehrenamtlich eingepflegt. Anscheinend ist aber das Vertrauen meinem Blog gegenüber nicht gerade hoch, denn schon vor Monaten machte ich allen Fraktionen das Angebot, zu Testzwecken Probeaufnahmen einer Stadtverordnetenversammlung anzufertigen und unveröffentlicht allen Mandatsträgern vorab zur Begutachtung zur Verfügung zu stellen. So hätten sich alle Betroffenen selbst ein Bild davon machen können, wie so ein Live-Mitschnitt im Ergebnis hätte aussehen können. Leider blieb dieses Angebot bis heute unbeantwortet. Die Gründe, warum man sich mit mir nicht wenigstens auf einen Versuch einließ (außer, dass man sowieso niemals die Absicht verfolgte, die Sitzungen den Neuen Medien zugänglich zu machen), bleiben für mich bis heute schleierhaft.
Frankfurt (Oder) und Frankfurt (Main), Leipzig, Cottbus, Maintal oder Niederlausitz sind Städte, die bereits Live-Streaming und/oder Aufzeichnungen ihrer Sitzungen anbieten oder zulassen – und die Liste ließe sich noch weiter fortführen. Warum nicht auch Kirchhain? Sind die Gründe hier so anders, als in Potsdam? Schauen wir uns doch mal an, was die Kommunalpolitiker aus der Brandenburgischen Landeshauptstadt über die Vorteile ihres Angebotes sagen:
Also gut, sei's drum. Anscheinend muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, bis sich unsere hiesigen Stadtverodneten auf die Möglichkeiten der Neuen Medien einlassen.
Doch eines ist sicher: Die nächste Kommunalwahl kommt bestimmt – und mit der heißen Wahlkampfphase eine Zeit, in der so manche Listenkandidaten die (mediale) Öffentlichkeit suchen und ihre Nähe zum Bürger bekunden werden, eine Nähe, die sie heute durch Taten hätten demonstrieren können...
Ich werde jedenfalls – nicht als Medienvertreter, sondern als Kirchhainer Bürger – weiterhin dafür eintreten, dass wir so oder so ein "Parlamentsfernsehen" bekommen. Mein Angebot habe ich gemacht: Die unentgeltliche Anfertigung und Veröffentlichung von Live-Mitschnitten via MeinKIRCHHAIN.
Vielleicht... lässt man sich ja doch zumindest mal auf einen Versuch ein – vielleicht aber auch nicht.
Vielleicht... hat man auch heute gegen die mediale Öffentlichkeit gestimmt, weil man (wie in Potsdam) lieber selbst die Kontrolle behalten möchte und dafür gerne ein paar Euro aus dem städtischen Haushalt bereitstellt.
Vielleicht... ist man aber auch grundsätzlich dagegen und ganz glücklich darüber, dass nur wenige den Weg ins Bürgerhaus finden und man sich morgen keine Gedanken darüber machen muss, was man heute in der Versammlung gesagt hat, da es ja keine Aufzeichnungen über die Debatten gibt.
Vielleicht...lässt man sich aber auch abschließend von diesen Aussagen umstimmen...vielleicht: „Wenn politische Teilnahme gelingen soll, müssen auch über die kommunale Politik ausreichend Informationen zur Verfügung stehen“ [Rudolf Schulz, BfO, Obertshausen bei Hanau]
"Während im Bundestag und in vielen anderen Parlamenten Liveübertragungen und Videoaufzeichnungen stattfinden, fürchten sich die lokalen Abgeordneten offenbar vor der Aufzeichnung ihrer Reden. Die Pressefreiheit wird einfach eingeschränkt. [Das] zeigt die Furcht vor zu viel Transparenz. Es wird Zeit, dass aus jedem Parlament unzensiert berichtet werden kann." [Pressemitteilung: DIE LINKE, Gießen]
»Wir müssen uns den neuen Medien öffnen« [Axel Bertrand, SPD, Bad Nauheim]
„Leider ist die generelle Rat- und Mutlosigkeit […] gegenüber dem Megatrend Digitalisierung auch hier auf kommunaler Ebene sichtbar. Angesichts sinkender Wahlbeteiligungen und steigender Politikverdrossenheit hätte der Ausschuss die Chance ergreifen können, den Bürgerinnen und Bürgern mit Hilfe neuer Medien zu zeigen, worüber ihre Vertreter im Rathaus entscheiden. […] Wir alle wurden dafür gewählt, unsere Haltung auch öffentlich transparent zu präsentieren. Auch wenn Stadtverordnete keine Personen des öffentlichen Lebens sind, sind wir doch freiwillig eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit eingegangen.“ [Alexander Winkelmann, Sebastian Rutten, FDP, Wiesbaden] "[...] Insbesondere berufstätigen Einwohnerinnen und Einwohnern, von denen nicht wenige auswärtig pendeln, ist es nur begrenzt möglich, die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung unmittelbar zu verfolgen. […Die] jüngere Generation nutzt heute wie selbstverständlich das Internet und soziale Medien und kann bei einer verbesserten Präsenz der Stadtverordnetenversammlung in diesen Bereichen besser in eben solche Prozesse eingebunden werden. Dies dürfte ein guter Beitrag gegen Politikverdrossenheit auf kommunaler Ebene sein. [Quelle: Antrag der CDU an die Stadtverordnetenversammlung Bernau bei Berlin] "Der leifßtriem ist der barrierefreiste Zugang zum Stadtparlament." [Thomas Nordmeyer, Bündnis’90 Die Grünen, Schwalbach]